Am frühen
Nachmittag des Dreikönigstages komme ich an der Brühler Kirche St. Stephan
vorbei, in der sich ein großes, begehbares Labyrinth befindet.
Wie oft
wollte ich schon wieder einmal hierhin kommen... Heute. Hier und jetzt!
Der Vorraum
ist hell und still. Ich öffne die Tür zum Kirchenraum. Ein graubraunes Halbdunkel
kommt mit entgegen, erdet mich. Kalte Luft, warme Atmosphäre. Im Hintergrund
leuchtet der Weihnachtsbaum.
Mein Blick
verliert sich in den Linien des Labyrinths, ich war lange nicht mehr hier.
Rechts oben
am Rand ist die Krippe aufgebaut, davor richtet ein älterer Herr seine Kamera
auf einem Stativ aus. Seine Bewegungen sind präzise und konzentriert, während
er sein Motiv einfängt und mich gleichzeitig beobachtet. Ich schaue ihn an und
gehe auf ihn zu. Wir lächeln.
Er fotografiert in der Weihnachtszeit die Brühler Krippen. Die Fotos fügt er zu Filmen zusammen, die die Krippen für Menschen erlebbar machen, denen ein Besuch vor Ort
unmöglich wäre.
Während der Unterhaltung schweben unsere leisen Stimmen durch den hohen Raum und es scheint, als würden sie die Ruhe noch verstärken.
Während der Unterhaltung schweben unsere leisen Stimmen durch den hohen Raum und es scheint, als würden sie die Ruhe noch verstärken.
Ich gehe zu
einer Bank, sammle mich, bete.
Und dann
stehe ich vor dem Eingang des Labyrinths, setze den ersten Fuß hinein.
Die ersten
Schritte führen mich gleich zur Mitte des Labyrinths – nein, nur ganz nah daran
vorbei. Egal wie oft ich auch das
Labyrinth gehe, jedes Mal falle ich wieder darauf hinein. Immer fühlt es sich
so an, als würde ich mit den ersten Schritten schon ankommen. Und jedes Mal
steigt dann eine leichte Irritation in mir auf. Stets verbunden mit dem
Geschmack der Enttäuschung, dass das schon alles gewesen sein könnte.
Ich habe
Zeit, das Zentrum des Labyrinths bei diesen ersten Schritten in Ruhe
anzuschauen, seine Wirkung auf mich zu spüren und gleichzeitig die Gesamtheit
der darum herumliegenden Wege und Windungen in Augenschein zu nehmen.
Mein
gemessenes Schreiten und einen-Fuß-vor-den-anderen-setzen passt nicht. Ich
verändere meinen Gehweise und wechsle zum Pilgerschritt: Wiegeschritt, dann
einen Schritt vor, Wiegeschritt, einen Schritt vor, Wiegeschritt, ...
Ich tauche
ein in diesen Rhythmus, in diesen wiegenden Tanz, der immer wieder für einen kleinen
Moment den Eindruck entstehen lässt, auf der Stelle zu treten. - In Wirklichkeit
ist es aber das Sein selbst, die Präsenz im Augenblick, verbunden mit dem
Schwungholen für den nächsten Schritt.
In diesem
Labyrinth habe ich schon Seminare und Workshops gegeben, einmal selbst an einem
sehr beeindruckenden Seminar teilgenommen.
Gedanken
kommen und gehen, Bilder, Erinnerungen, Wortfetzen, ein Lied, Stimmen.
Erfahrungen, die ich hier gemacht und miterlebt habe. Sie umspülen mich wie
eine prickelnde Welle, dann sind sie wieder weg.
Mittlerweile
habe ich mich von der Mitte entfernt. Wenn ich die schmalen Kehren gehe, an
denen sich die Richtung ändert, komme ich manchmal aus dem Takt und setze den
Fuß vor, der eigentlich gar nicht dran ist. Es ist egal. Aus einer ganz tiefen,
beruhigenden Gewissheit heraus ist das egal.
Nun sind da
Gedanken aus dem Alltag. Ich nehme sie wahr, beachte sie aber nicht weiter.
Auch sie sind egal. Sie haben ihre Existenz und sind da. Solange ich nicht
näher auf sie eingehe oder sie bewerte, lassen sie mich in Ruhe. Ein guter
Deal, wie ich finde.
Einmal
steigt ein Lächeln aus der Tiefe meines Herzens auf, ein paar Schritte weiter
habe ich Tränen in den Augen. Ich hinterfrage nicht, woher diese Gefühlsregungen
kommen. Sie sind gerade da, ich erlebe sie und lasse sie einfach durch. Meine
Gefühlswelt macht Neujahrsputz.
Plötzlich
bin ich weg. Abgetaucht in dieses rhythmische, meditative Gehen, bin nur noch.
Wer weiß, wie lange ich schon gehe und wie lange ich noch gehen werde. Das Gehen
wird zum Selbstzweck, der Weg ist das Ziel. Ich bin unterwegs.
Am Anfang hatte
ich vielleicht noch ein Ziel. Jetzt gehe ich und komme dabei immer weiter,
immer näher zu mir.
Beim Gehen
kommt die Mitte aus allen möglichen Perspektiven in mein Gesichtsfeld. Sie ist
ein Teil des Weges geworden, hat sich nahtlos eingefügt und nimmt keinen
Sonderstatus mehr ein. Mal liegt sie in meiner Nähe, mal rechts und mal links
von mir, dann ist sie wieder weit weg.
In einem
Moment, in dem ich gar nicht damit rechne, macht der Weg eine Kehre und die
Mitte liegt vor mir. Ich gehe direkt auf sie zu und in sie hinein. Beim Gehen
in ihrem Inneren vollziehe ich ihre Kreisform nach.
Bevor ich
mich wieder aus dem Zentrum herausbewege, folge ich einem Impuls und bleibe
einen kurzen Moment auf dem Mittelpunkt stehen, die Arme ausgebreitet. Ein Arm
zeigt zum Altar, der andere zur Nische mit den Opferkerzen vor der Madonna.
Ich lasse
die Arme sinken und nehme meinen Weg wieder auf.
Mäandernde
Wege, mäandernde Gedanken. Ich spüre, wie die klare, geordnete Architektur der
Kirche auch auf mich klärend und strukturierend wirkt.
Das Zentrum
des Labyrinths liegt in einer Achse mit dem Kreuz über dem Altar auf der einen
Seite und der Madonna auf der anderen Seite. Sie kreieren eine Form von Kraft,
die schon beim Betreten des Kirchenraums zu spüren, aber nicht gleich zu orten
ist. Beim Gehen in diesem Energiefeld erschließt diese Kraft sich immer mehr.
Der Rückweg
ist wichtig, er gehört dazu. Durch ihn bekommen die Wege nun ihrem Sinn und
alles seinen Platz. So fühlt es sich jedenfalls für mich an.
Der ältere
Herr arbeitet weiterhin vor und neben der Krippe. Es ist, als sei er in einer
Blase der Stille, ein Teil der aktiven Meditation, die ich gerade erlebe.
Während ich
mich nun immer mehr von der Mitte entferne, wachsen Kraft und Zuversicht, ich
fühle mich stabiler und wacher, noch mehr in der Präsenz.
Wenn der
Hinweg eine Klärung war, ist der Rückweg nun eine Firmung, eine Bestätigung und
Festigung dessen, was ist und was ich bin.
Ein schönes
Gefühl, mit dem ich gerne und in Dankbarkeit in dieses neue Jahr aufbreche.
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